Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Einführungsseminar vor dem Reichstagsgebäude in Berlin

Erfahrungen aus dem Hospitationsprogramm 2023

Das kulturelle Kaleidoskop des Rechts: Erfahrungen aus dem Hospitationsprogramm 2023

In der komplexen Welt des Rechts steht die theoretische Durchdringung der einzelnen Stoffgebiete zwar zumeist am Anfang, aber sicherlich nicht am Ende der akademischen Aus- und der beruflichen Fortbildung. Vielmehr bedarf es neben der theoretischen Erfassung dieser Welt auch der aufmerksamen Einarbeitung in die Praxis, welche bekanntlich ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, Nuancen und eben auch Abweichungen kennt, auf deren Kenntnis sich Praktikerinnen und Praktiker nach einigen Jahren der Anwendung stützen können. Im internationalen Rechtskontext sowie der Rechtsvergleichung gesellt sich zudem noch der Faktor der unterschiedlichen Rechtstraditionen und -kulturen hinzu, welcher seine ganz eigene Faszination ausstrahlen kann. Nach mittlerweile fast dreißigjährigem Bestehen kann das multilaterale Hospitationsprogramm für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der IRZ, welches durch die Bundesrechtsanwaltskammer und den Deutschen Anwaltsverein mitveranstaltet und co-finanziert wird, bereits auf eine reiche Geschichte als Vernetzungsplattform und Ideenbörse für die europäische Anwaltschaft zurückblicken. Im Kaleidoskop der kulturellen Rechtspraxen genügt oft ein kleiner Schwenk für eine gänzlich neue Perspektive, die gewinnbringend in die eigene Arbeit eingebracht werden kann.

Vom 27. August bis zum 28. September 2023 war es wieder soweit: Aus elf verschiedenen Staaten reisten interessierte Anwältinnen und Anwälte nach Deutschland, um einen vertieften Einblick in die deutsche Rechtspraxis zu bekommen. Der besondere Gewinn dieses erfolgreichen Formats liegt dabei neben der fachwissenschaftlichen Debatte und der Einarbeitung in ausgewählte Rechtsbereiche vor allem in den vielen Gelegenheiten zum persönlichen und interkulturellen Austausch. So kam auch dieses Jahr wieder der kollegiale Dialog nicht zu kurz und wurde vielfach entlang des Programms aufgenommen.

Als große Besonderheit in diesem Jahr fand die Einführungswoche nicht in Bonn, sondern in Berlin statt, wo die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltsverein ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten. Die Teilnehmenden erhielten durch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesrechtanwaltskammer und des Deutschen Anwaltvereins, sowie durch praktizierende Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einen Einblick unter anderem in das anwaltliche Berufsrecht, die anwaltliche Selbstverwaltung, das Vertrags- und Unternehmensrecht, die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, das Familienrecht, in das Beschwerdeverfahren vor dem EGMR und die Auswirkungen der Urteile des EGMR auf die nationalen Rechtsordnungen. Als Highlights standen die Besuche des Reichstages und des Landgerichts Berlin auf dem Programm, die beide durch Fachgespräche mit Vertreterinnen der Institutionen begleitet wurden und informative Einblicke gewährten. Neben dem intensiven Programm der Einführungswoche gab es selbstverständlich auch in der freien Zeit viele Gelegenheiten für gute Gespräche und geselliges Beisammensein.

Anschließend ging es für die Hospitantinnen und Hospitanten in die gewählten Stationen. Für drei Wochen hatten die Anwältinnen und Anwälte hier die Gelegenheit, die Kanzlei- und Gerichtspraxis der deutschen Partnerinnen und Partner kennenzulernen. Hierbei konnten die Hospitierenden nicht zuletzt auch wegen der im Vergleich mit klassischem „work shadowing“ langfristigen Einbettung im alltäglichen Betrieb tiefgreifende und ertragreiche Erfahrungen sammeln, an Gerichts- und Mandantenterminen teilnehmen und sich mit den deutschen Fachkolleginnen und -kollegen austauschen. Dementsprechend gab es bei der erneuten Zusammenkunft in Bonn auch viel zu erzählen. Im Rahmen des Auswertungsseminars am Standort der IRZ konnte das Erlebte reflektiert und eingeordnet werden, aber auch auf einer methodischen Ebene das Hospitationsprogramm evaluiert werden. Das Feedback fiel dabei sehr positiv aus, wobei neben den geknüpften Kontakten und dem multilateralen Austausch insbesondere die produktive und gewinnbringende Wissensvermittlung sowohl im Einführungsseminar, als auch in den Stationen herausgehoben wurden. Zudem wurde der didaktische Ansatz, eine Mischung aus Praxis- und Theorieelementen zu kombinieren, wieder einmal gelobt, da sich so eine Übertragung von Wissenselementen in den eigenen Arbeitsbereich sehr viel leichter gestalten lässt, wie die Teilnehmenden versicherten. Auch die interessierten Nachfragen in den Fachdiskussionen ließen erkennen, dass die „hands-on-Mentalität“ des Hospitationsprogramms ihre Früchte trägt. Abgerundet wurde der Besuch in Deutschland mit einem gemeinsamen Abendessen, welches nur eine zusammenfassende Botschaft zulässt: Nach einem überaus erfolgreichen Jahr 2023 bleibt das Hospitationsprogramm auf Kurs, auch im kommenden Jubiläumsjahr die internationale Rechtspraxis weiter zu vernetzen und den rechtskulturellen Austausch zu pflegen!

Bild in vergrößerter Ansicht öffnen
Beim Abschlussseminar in Bonn